Haushaltsrede der Kreistagsfraktion

Veröffentlicht am 13.11.2020 in Kreistagsfraktion

Sehr geehrter Herr Landrat Eininger, Sehr geehrte Kolleg:innen, Liebe Mitbürger:innen, eine Krise wie die gegenwärtige erfordert allen voran eines: Verantwortung. Wir alle tragen die Verantwortung, mit dem eigenen Verhalten zur Gesundheit anderer, mit dem eigenen Verhalten zu unserem gesellschaftlichen Zusammenhalt beizutragen. In diesem Kontext sehe ich die heutige Absage des Kreistags und dieses Format als Zeichen dieser Verantwortung. Gleichzeitig halte ich es für äußerst problematisch, wenn sich öffentliche Amtsträger spaltend und verzerrend äußern –oder in ihren Äußerungen eine solche Interpretation zulassen. Derartige Äußerungen wirken sich kaum auf die betroffenen Gruppen direkt, aber umso deutlicher auf die darauffolgende Abgrenzung Dritter aus.

Ähnlich problematisch betrachte ich das en Vogue gewordene „Jugendbashing“. Es sind nicht „die Jungen“ oder die Alten, die das Virus verbreiten –sondern die Un-Verantwortlichen jeden Alters, die unsere freiheitliche Ordnung ausreizen und an den Rand der Überforderung treiben. Die allermeisten jungen Menschen zeigen sich höchst verantwortlich. Und das, obwohl ihnen ihre Jugend durch das Virus gestohlen wird. Ihre Lebens-und Erfahrungsräume leiden in der Krise besonders –vom Auslandsjahr über den Einstiegin Ausbildung oder Beruf bis hin zur Jugendarbeit und -kultur. Nun aber zum Haushalt:Die Krise legt Mängel offen und verschärft bestehende Defizite. Genau hier setzen unsere Schwerpunkte an:  Wir richten unseren Blick auf die (1) Transformation der Wirtschaft –ökologisch wie digital, die (2) Mobilitätswende und den (2) Einsatz gegen Armut und für bezahlbares Wohnen.

(1) Den digitalen und sozial-ökologischen Wandel aktiv gestalten Corona-Krise, Wirtschaftskrise, Struktur(wandel)krise, Klimakrise. In dieser Reihe -ein Klimax? -liegen die Herausforderungen vor uns. Covid-19 wirkt hierbei wie ein Brandbeschleuniger. Vorhanden waren diese Herausforderungen jedoch bereits zuvor. Zu lange ist die digitale Infrastruktur nur sporadisch ausgebaut worden. Zu lange sind ökologische Ziele nur halbherzig verfolgt worden. Noch ist es nicht zu spät. Darum liegt in der Krise auch eine (letzte?) Chance: Der "Restart" muss für diese Herausforderungen genutzt werden. Mutige Zukunftsinvestitionen sind gefragt. Der Wiederaufbauplan der Europäischen Union setzt die richtigen Prioritäten –für den digitalen und den ökologisch-sozialen Wandel.

[Die technisch-digitale Transformation]

„Neuland“ ist leider noch immer die Metapher für Digitalisierung in Deutschland. Passender wäre allerdings: Digitales Ödland. Deutschland ist international abgehängt. Die Pandemie macht dies deutlich spürbar. Das Home-Office scheitert viel zu häufig bereits an der Datenverbindung. Deshalb fordern wir zeitnah einen Bericht des Zweckverbands Breitband zum Ausbaustand.Erheblichen Bedarf sehen wir bei unseren Schulen. Das „System Schule“ wird nicht mehr in die Zeit vor Corona zurückkehren. Der Weg zur Digitalisierung ist vorgezeichnet. Diesen Weg müssen aber auch alle mitgehen können. Niemand darf abgehängt werden, weil zuhause die Netzverbindung zu schlecht ist –oder weil Lehrkräfte zwar mit modernen Geräten ausgestattet sind, aber es an der technischen Betreuung fehlt.Dabei haben wir nicht nur unsere Kreisschulen im Blick, sondern alle Schulen im Landkreis. Im Sommer haben wir bereits vorgeschlagen, das Kreismedienzentrum zu einer Digitalisierungsagentur auszubauen, wenn die Digitalisierung erfolgreich vor Ort funktionieren soll. Insbesondere kleinere Kommunen können als Schulträger eineBetreuung nicht allein stemmen. Dass dabei das Land finanziell ins Boot muss, ist völlig klar –hier haben Sie unsere volle Unterstützung, Herr Landrat. Wenn Sie es selbst aber ernst meinen mit der von Ihnen viel beschworenen Partnerschaft des Kreises mitseinen Kommunen, dann sollten Sie die kleineren Kommunen an dieser Stelle nicht allein lassen. Wir können es uns nicht mehr leisten vor Ort zu warten, bis es bei diesem politischen Grundsatzstreit auf Landesebene eine Lösung gibt. Apropos Landesebene: Krisen bieten die Chance, effektives Management zu beweisen, sich als Macherin in Szene zu setzen: Die Kultusverwaltung machte hier keine gute Figur –vornehm ausgedrückt. Man könnte auch von einem heillosen Durcheinander im Kultusministerium sprechen. Ob dasdem Unvermögen der CDU-Ministerin, dem vorgezogenen Wahlkampf Frau Eisenmanns oder anderen Gründen zu verdanken ist, kann und darf jede und jeder selbst entscheiden. Die Leidtragenden sind allerdings klar: die Schulen und alle dort Betroffenen.

[Die sozial-ökologischen Transformation]

Dramatischer steht es um die Herausforderungen des Klimawandels. Wir dürfen allesamt nicht vergessen, dass hier eine noch viel größere Herausforderung auf uns wartet. Corona ist ein laues Lüftchen, verglichen mit dem Orkan, der uns durch den Klimawandel droht -und zwar auf Dauer! Wir müssen endlich das Ruder herumreißen! Dass dies noch gelingen kann und wir angesichts der erforderlichen Veränderungen nicht einfach den Kopf in den Sand stecken sollten, zeigen neue Studien auf . Die sozial-ökologische Transformation ist eine Chance –sie bietet unserer innovativen Wirtschaft die Gelegenheit, einen globalen technologieaffinen Zukunftsmarkt zu erobern.Diese Herausforderung gelingt aber nur gemeinsam -wenn alle am gleichen Strang ziehen -der hier heißt: 1,5 Grad Ziel, wie ihn das Pariser Klimaabkommen vorgegeben hat. Das verbleibende CO2-Budget ist bei unserem gegenwärtigen ökologischen Fußabdruck allerdings bereits Anfang des nächsten Jahrzehnts aufgebraucht –spätestens.Wir müssen nicht erst 2050 klimaneutral wirtschaften, sondern deutlich früher um die rechtsverbindlichen Ziele des Pariser Klimaschutzabkommens zu erreichen. Maßgeblich ist also so schnell wie möglich, so wirksam wie möglich zu handeln. Umso rascher die Reduktion erfolgt, umso leichter werden unsere Anstrengungen. Erfüllen wir dies nicht, trifft es allen voran andere, ärmere Länder. Globale Verantwortung ist gefragt. Mit Sorge blicken wir daher auf die Entwicklungen in unserem Landkreis: Betroffen macht uns,dass wir uns im Landkreis nicht an diesem 1,5 Grad Ziel orientieren –nicht einmal als rechnerischer Vergleichswert. Halten wir den Kurs, müssen andere -auch weniger  leistungsstarke Regionen, noch stärker zur Reduktion beitragen.Wenig Verständnis habenwir auch dafür, dass auf eine begleitende Beteiligung von Expert:innen verzichtet werden soll. Wir sind überzeugt, dass beide Entscheidungen falsche Signale senden. Trotzdem unterstützen wir nachdrücklich alle Bestrebungen, nun rasch die Grundlagen zu schaffen (Stichwort: Klimaschutzagentur) und konkrete Maßnahmen anzugehen. Als Lichtblick bleibt, dass der Klimaschutz bei allen zukünftigen Maßnahmen stets im Blick bleibt. Das gewährleistet das zukünftige Prüffeld auf Klimarelevanz. Wir freuen uns, dass unser Antrag hierzu positiv aufgegriffen wird. In Sachen Klimaschutz und Beteiligung bin ich offen gestanden enttäuscht von den Grünen. Beide Vorschläge unsererseits, die Beteiligung wie die Orientierung am Pariser Klimaabkommen, wurden von ihnen abgelehnt –und uns Populismus vorgeworfen. Eine Bewertung, wer hier populistisch unterwegs ist, wenn er einerseits eine "Politik des Gehört-werdens" und ein "eindeutiges Klimaschutzbekenntnis" in (Sonntags-)Reden vorträgt -aber wenn es zur Umsetzung kommt, anders handelt, überlasse ich anderen. Vielleicht ist das aber auch kein Zufall: Blicken wir auf die grün-schwarze Landesregierung, so zeichnet sich ein ähnliches Bild: Auch hier kritisieren Verbände, u.a. der BUND, dass das Pariser Klimaabkommen durch das Landes-Klimaschutzgesetz nicht erreicht werde. Auchhier werden -mit Unterstützung der Grünen -weitergehende Beteiligungsinstrumente, unter anderem auf Landkreisebene, abgelehnt. Es bewährt sich der Rat: Taten zählen, nicht Versprechungen –oder etwas zugespitzter: Der grüne Lack ist ab, darunter scheintes ziemlich dunkel –pechschwarz –hervor.

[Unser nächster Schwerpunkt ist zugleich zentrales Handlungsfeld der sozial-ökologischen Transformation. Ich spreche von der] (2) Mobilitätswende –Vorfahrt für den ÖPNVDie Mobilitätswende ist ein zentrales Element zur Erreichung unser Klimaschutzziele. Ein Bereich, in dem wir als Landkreis unmittelbar aktiv werden können. Der hohe Energiebedarf des Individualverkehrs macht das Potenzial deutlich –ein PKW verbraucht pro km und Person gegenüber der Bahn das rund 4,8fache an Energie. Die Mobilitätswende muss daher allen voran eine Wende hin zum ÖPNV werden. Die jüngst veröffentlichte Wuppertal-Studie zur Einhaltung des 1,5 Grad Ziels weist den Weg: Die ÖPNV-Kapazitäten sind zu verdoppeln -der Autoverkehr gleichzeitig zu halbieren. Ein solches Vorhaben ist ambitioniert –Herausforderungen wie der Klimaschutz fordern allerdings auch mutige Entscheidungen. Um dies zu erreichen, ist ein Bündel an Maßnahmen auf Preis-und Angebotsseite gleichzeitig erforderlich. Um die Menschen zum Umstieg auf Schiene und Bus zu bewegen, muss der ÖPNV auch preislich attraktiv sein. Zudem gilt: Die (Alltags-)Mobilität des Einzelnen darf nicht zur Frage der sozialen Leistungsfähigkeit werden. Sozial gerechte Klimapolitik schließt zwingend eine Bezahlbarkeit der Verkehrsalternativen mit ein. Darum erneuern wir unsere Forderung nach einem regionsweiten 365-Euro-Ticket. Wir bitten die Kreisverwaltung zu berichten, wie weit der Antrag beim für ein solches Modellprojekt im VVS gediehen ist. Unabhängig davon wollen wir mit unserem Antrag zum School-Abo den Einstieg in ein 365-Euro-Ticket im kommenden Jahr vornehmen. Ein solcher Einstieg hat zudem soziale Relevanz: Eltern werden spürbar entlastet, Bildungsgerechtigkeit und Chancengleichheit gefördert. Nicht zuletzt wollen wir gegenüber der Landeshauptstadt, die das rabattierte Ticket bereits einführte, nicht ins Hintertreffen geraten. Die Mobilitätswende –auch das 365-Euro-Ticket –kann jedoch nicht allein in den Händen der Kommunen liegen. Die Finanzierung des ÖPNV muss nach unserer Überzeugung einer vollständigen Neubetrachtung unterzogen werden. Neue Konzepte sind gefragt: In Wien hat sich die zweckgebundene Verwendung von Mitteln aus der Parkraumbewirtschaftung oder von Einnahmen aus erhöhten Beförderungsentgelten bewährt. Auch die Idee einer gesetzlich verankerten Nahverkehrsabgabe oder einer City-Maut halten wir für denkbar.

[Unseren dritten Schwerpunkt legen wir auf den]

(3) Einsatz gegen Armut und für bezahlbares Wohnen. Die Teilhabechancen jedes Einzelnen hängen immer stärker vom verfügbaren finanziellen Spielraum ab. Die Kluft zwischen Arm und Reich wächst. Das Leben in unserer Region darf nicht von der Größe des Geldbeutels abhängig sein. Unser gesellschaftlicher Zusammenhalt, unsere Demokratie macht gerade in Deutschland eine relative Nähe der Milieus aus, die zunehmend droht, verloren zu gehen. Erschreckend ist, dass gerade die Kinderarmut in unserem reichen Baden-Württemberg in den vergangenen Jahren erheblich gestiegen ist: Jedes 5. Kind  ist inzwischen von Armut bedroht. Kinder sind unser aller Zukunft -von ihnen, ihren Talenten und ihren Fähigkeiten-aber ebenso ihren Chancen hängt das zukünftige Wohl unseres Gesellschaft ab. Es liegt in unserer Verantwortung, diese Ausgangschancen für sie, bestmöglich zu gestalten.Um gezielte Ansätze gegen Kinderarmut zu finden, beantragen wir die Erstellung eines Armutsberichts für den Landkreis Esslingen. Auf dieser
Basis können –gemeinsam mit Partner:innen aus dem Feld –präventive Ansätze zur Vermeidung eines weiteren Abrutschens gefunden werden. Ein wesentlicher Armutsfaktor liegt im Wohnraum.Wohnraum wird zunehmend zum Luxusgut und für viele Menschen zur existenziellen Frage. Für uns ist das Rechtauf Wohnraum aber ein Menschenrecht. Gerade in Zeiten einer Pandemie erlangen die eigenen Vier-Wände eine besondere Qualität. Spürbar wird, welch sozialer Sprengstoff in der Verfügbarkeit ebenso wie der Bezahlbarkeit von Wohnraum liegt.Darum beobachten wir die Mietobergrenzen des Landkreises genau. Die Konzeption sowie die sich daraus ergebenden tatsächlichen Grenzwerte sehen wir von Beginn an kritisch. Die Evaluation ist überfällig, auch rechtlich –wir erwarten, dass diese mehr als nur eine kleine Kurskorrektur mit sich bringen wird.Bis dahin wollen wir zumindest eine realistische Anpassung der Mietobergrenzen, die der Entwicklung des Wohnungsmarktes auch tatsächlich Rechnung trägt. Der hierzu gemeinsam mit Grünen und Linken eingereichte Antrag für einepauschale Erhöhung um 5%, liegt Ihnen bereits vor.Last but not least zur Kreisumlage: Unsere Zukunftsfähigkeit hängt von der finanziellen Leistungsfähigkeit ab. Dies gilt für den Landkreis wie für seine Kommunen. In Verantwortung für unsere Städte und Gemeinden sehen wir den Spielraum für eine Senkung der Kreisumlage auf 30 Hebesatzpunkte –ohne das ursprünglich geplante Ergebnis zu unterschreiten und ohne geplante Investitionen des Landkreises zu gefährden. Zugleich stellen wir wie im vergangenen Jahr in Aussicht, bei Umsetzung der skizzierten Zukunftsprojekte mehr Mittel zur Verfügung zu stellen.[Ich komme zum Schluss]Vor uns liegen große Veränderungen –Transformationen, die uns gerade in der Region Stuttgart besonders herausfordern. Jetzt giltes, mutig Weichen zu stellen. Als SPD sind wir uns unserer Verantwortung darinbewusst. Wir wollen den Wandel auch als Chancebegreifen und die Zukunft aktiv gestalten. Daher freuen wir uns auf die anstehenden Beratungen und das gemeinsame Ringen um die besten Ansätze für unseren Landkreis.

 
 

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